Heute vor 50 Jahren.... eine Hommage
Verfasst: Di 1. Apr 2008, 00:58
Es gibt Tage im Leben, die man einfach nicht vergisst! Sie haben sich tief eingeprägt in der Erinnerung und man kann sie abrufen, als wäre es gestern gewesen. Wenn es dann noch so ein Tag ist, der das Leben verändern bzw beeinflussen konnte, so redet man von einem Schicksalstag! Bei mir war das der 31. März 1958, nachmittags.Mein Vater und ich waren bei der örtlichen Mercedes-Benz-Vertretung und holten unseren fabrikneuen Mercedes, einen Sechszylinder, ab. Nicht nur, dass es ein imposantes Auto war mit viel Chrom und dem Stern vorne drauf, dazu der kräftige Motor und sein leises Säuseln, es machte mich auch stolz, eine eigene Türe zum Einsteigen zu haben und nicht mehr, wie bisher, immer durch die Beifahrertüre nach hinten durchsteigen zu müssen. Das waren die Dinge, die damals zählten bei den Freunden, und ich musste allen versprechen, zu fragen sie einmal mitnehmen zu dürfen...Als mein Vater den Kaufpreis geregelt hatte (damals nur bar oder gg.Wechsel), gingen wir gemeinsam mit einem Mann im grauen Kittel über den Hof der Werksniederlassung zu einer großen Halle. Das Tor wurde entriegelt und wir standen vor einer Reihe farbiger Mercedes Limousinen: rote, blaue, grüne, auch schwarze. Unserer stand ziemlich weit links, das hat sich mir unauslöschlich eingeprägt, und alle trugen die gleiche mittlere Listennummer. " Das ist Ihrer", sagte der Verkäufer , und ich war maßlos enttäuscht: steingrau hell war er, dabei gab es doch endlich bunte Farben. Schwarz und Grau waren sie ja meistens bislang gewesen, und Grau gefiel mir nun zunächst gar nicht. Das dauerte aber nur kurz, Minuten später hatte ich ihn verinnerlicht: das war unser neues Auto! ( Heute liebe ich diese Farbe, sie symbolisiert mehr als jede andere die Mode der damaligen mobilen MB -Zeit)Ihm zu Ehren bin ich heute abend erneut in die Garage und mit meiner Frau zum Essen gefahren, und wir haben seinen Geburtstag gefeiert: 50 Jahre ist er nun in der Familie, 50 Jahre mich und 33 Jahre uns beide hat er begleitet, und zusammen haben wir einiges erlebt: Urlaube in Österreich und Italien, Energiekrise und Fahrverbote, Hitzesommer und Glatteis, schneeverwehte Pässe und kilometerlange Straßenbaustellen in den Alpen, mehrere Liebschaften und Liebeskummer, die langjährige Restaurierungsphase und den Wiederaufbau, der eigentlich unwirtschaftliche Maßstäbe annahm. Ich habe ihm seine Identität bewahrt , denn noch heute fährt er mit der ursprünglichen Zulassung auf dem seinerzeit ausgestellten Pappbrief,lediglich das `H`ist hinzugekommen.Wir haben heute abend auf ihn angestossen und dann bin ich in die Vergangenheit eingetaucht und habe meiner Frau ein bischen erzählt:1958: die erste Urlaubsfahrt geht nach Grömitz, das liegt an der Ostsee, nahe beim Timmendorfer Strand. Die Anreise dauerte 2 Tage, denn es gab nur wenige Kilometer Autobahn, die dazu noch sehr schlecht war; Hitlerautobahn hieß das damals, eine Aneinanderreihung von rechteckigen Betonplatten, die Frostschäden an den Fugen aufwiesen und kein zügiges Fahren zuließen. Wenn es geregnet hatte, waren die Fahrbahnen glatt wie Schmierseife, denn die Lkws verdampften viel Öl auf den Fahrbahnen. In der Nähe von Fulda wurde dann übernachtet, einmal auch in Hameln, eine Stadt, die in den 50ern noch gruseliger erschien als das Märchen selbst - Gaslichtlaternen an allen Ecken sind mir noch in Erinnerung, ziemlich dunkel und furchteinflößend.Sonderwunsch war der Becker-Europa - der auch noch heute brav seinen Dienst verrichtet- , aber es war gar nicht so einfach, einen Sender richtig einzustellen; andauernd mußte man neu suchen um Nachrichten zu hören. Auf dieser ersten Urlaubsreise vernahmen wir dann unterwegs , dass Papst Pius XII gestorben war. Wir waren gerade in Hamburg, um die Eröffnung einer der ersten Bundesgartenschauen anzusehen, sie hieß so ähnlich wie `Planten und Bloumen`. In Grömitz traf mein Vater einen früheren Arbeitskollegen, den die Nachkriegszeit nach Plön verschlagen hatte. Der schenkte uns gleich zur Begrüßung jedem 5.- Mark, was ihn von Anfang an sehr sympathisch machte. Mein Bruder hatte nach 14 Tagen alles in Eiskrem angelegt, die in einem ganz kuriosen Gefährt täglich am Strand der Ostsee angeboten wurde: es war ein langer Sattelaufleger aus Hamburg der Firma Sarotti, der von vorne bis hinten kunstvoll gestaltet war; die Seitenwand war aufklappbar und dort bediente eine sehr attraktive Mutter eines etwa 5-jährigen Knaben, die mir ausnehmend gut gefiel, was mich veranlasste, der kleinen Nervensäge mehr Aufmerksamkeit zu schenken als ihm zustand.Das Fahrzeug war ein Unikum, vielleicht wissen Hamburger hier im Forum Näheres, ob es noch existiert.1960: mein Vater war alleine auf dem Rückweg von der Handwerksmesse in München, es war bereits Dämmerung eingetreten und die Autobahn nahezu leer. Er war mit etwa 150kmh unterwegs, als der hintere von 2 nacheinanderfahrenden Lkws mit Anhängern plötzlich zum Überholen ansetzte. Abbremsen war nicht mehr möglich, also mußte er über den Mittelstreifen auf die Gegenseite - damals gab es noch keine Mittelleitplanken-, und auf dem Grünstreifen drehte sich der schwere Wagen um 180° und kam zum Stehen. Einige Büsche waren vernichtet worden, aber äußerlich war nicht zu sehen, lediglich das Fahrzeug vibrierte stark. Die Vermessung in der Werkstatt ergab eine verschobene Hinterachse als Folge einer angerissenen Hinterachsstrebe. Mein Vater behauptete noch Jahre danach, die solide Verarbeitung des Mercedes habe ihm das Leben gerettet.1962: es ist Pfingsten und wir sind in Grado/ Italien.14 Tage Strand, Sonne , Baden sind zu Ende, die Koffer sind gepackt, der Wagen beladen, morgen soll es heimgehen. Ich sitze im Mercedes, denn im Radio wird die Fußball WM in Chile übertragen. Jugoslawien führt 1:0 gegen Deutschland, uns gelingt einfach kein Tor - dabei waren wir doch seit 1954 und 1958 wieder eine Institution im Fußball, und ein Ausscheiden lag jenseits der Vorstellungskraft von uns Buben. Aber es war Tatsache, wir flogen raus: Für mich brach eine Welt zusammen, für das Auto die Batterie.So standen wir am nächsten Tag alle um den Wagen und konnten nicht starten; Überbrückungskabel waren nicht gängigDer ACI brauchte sehr lange um zu kommen. Ich kann mich an eine ziemliche Abreibung erinnern und durfte nie mehr alleine vorne ins Auto.Mit Geographie hatte ich nie was am Hut, Landkarten waren mir damals ein Greuel; ich orientierte mich entlang der Landstraßen von Oberitalien über Österreich bis nach Hause an Autofriedhöfen, die es allenthalben gab. Hier setzte ich meine Markierungen, die mich nie im Stich ließen ( und mir sogar 20 Jahre später um Mitternacht in Athen halfen auf dem unauffindbaren Rückweg von der Plaka zum Campinplatz nacha Marathon, da ich die großen kyrill. Buchstaben nicht lesen konnte).1962 war auch die Zeit der Kubakrise; mein Vater nahm mich in diesen Monaten häufig morgens mit in die Schule; als erstes schalteten wir den Becker Europa ein, ob denn die Soffjets (orig.Ton Adenauer) es wagten, den amerik. Blockadering um Kuba zu durchbrechen. Stündlich rechnete man mit dem 3. Weltkrieg, alles erlebt in meinem treuen Mercedes.1963, 22. November. Im Mercedes hören wir auf der Heimfahrt die schreckliche Nachricht: Präsident Kennedy wurde in Dallas erschossen. Man ist wie gelähmt, die Alten reagieren fassungslos, im Westen zeigt man Panik. Wir fahren rechts ran, machen den Motor aus und hören die Nachrichten, die sich überschlagen. Der Sender rauscht, komt geht weg, kommt wieder, man möchte am liebsten in den Radio hineinkriechen, um besser zu verstehen. Unser Idol, dieser lockere Bursche, der so anders war als die verknöcherten Politiker in Europa, der uns Sicherheit gab und die Freiheit garantierte.... wir fühlten uns so schutzlos wie noch nie!1964: ich muss die Passionsspiele in Oberammergau über mich ergehen lassen (warum eigtl., denn niemand bei uns war religiös). Auf der Rückfahrt zwischen Ingolstadt und Nürnberg auf halbem Wege bei Denkendorf, exakt an der nie in Betrieb genommenen Vorkriegstankstelle , die heute noch unverändert verschlossen steht wie ich sie seit 50 Jahren kenne, scherte uns bei 130kmh das Mittellager der Kardanwelle ab - ein fürchterliches Gerumpel ließ uns Schlimmes erahnen. Als nach 1-2 Stunden noch immer kein Motorrad des ADAC in Sicht war, fuhren wir mit 20kmh zu einer Tankstelle im Ort Denkendorf. Es war samstags abend, und wir hatten Glück, dort herrschte Hochbetrieb: "Erst ein DKW, dann der schwarze 220, dann kann ich mir Ihren ansehen", sagte der Meister. Gegen 22h begann er unser Getriebe auszubauen, um das Mittellager der Kardanwelle notdürftig mit einem Lederriemen zu fixieren. Das dauerte bis weit nach Mitternacht, danach schlichen wir vollbepackt mit geringer Geschwindigkeit auf der Autobahn nachts weiter und waren nach Stunden morgens zu Hause.Aber auch hier spielte das Schicksal mit, denn der schwarze 220 der Vorgängerserie hatte es mir angetan.: ich hatte ja lange Zeit gehabt, den Wagen vor uns auf der Bühne zu bewundern, so ein schöner, bulliger Wagen, der gefiel mir noch besser als unserer. Jahre später habe ich mir diesen Wunsch erfüllt.1965: wieder sind wir im Oberbayrischen, nahe Schloß Linderhof. Mein Bruder hat seit Wochen den Führerschein, auf dem Beifahrersitz sitzt mein engl. Brieffreund, der 3 Wochen auf Besuch weilt. Wir fahren durch eine gottverlassene Gegend, die Wälder um das Forsthaus Unternogg bei Unterammergau, als uns ein einsamer Wanderer begegnet: ein kurzer Blick beim Vorbeifahren, mein Bruder stutzt " das war doch der ....", dreht um und sagt, " den sprechen wir jetzt an..." "Herr Ministerpräsident, können wir Sie ein Stück mitnehmen ? " Herr Goppel schaut kurz ins Wageninnere, sieht drei blasse, pickelige Bürschchen und sagt " ja gerne, ich habe mich etwas im Wald verlaufen ..."Auf der Fahrt erzählt er, dass er in Bad Kohlgrub zur Kur sei, vom Wanderweg abgekommen ist und eigtl. ganz froh ist, das wir ihn heimbringen. Unterwegs gibt er - ich muss das anbringen- in schauderhaftem Englisch meinem Freund einen Abriss über die bayer. Geschichte und die Schönheiten der hiesigen Landschaft. Als wir mit unserem - schon ziemlich angerosteten- Mercedes die Auffahrt zum Kurhaus hinaufwollen, will man uns nicht passieren lassen, aber mit dem bayerischen, volksnahen Alfons Goppel im Fond dürfen wir sogar bis vors Kurhaus auffahren.Ach ja, mein Bruder hatte so beiläufig erwähnt, dass er sich für den Staatsdienst beworben habe, worauf er seinen Namen nennen durfte; tatsächlich haben sie ihn dann im Herbst genommen (wobei er lebenlänglich Zusammenhänge abstritt), was ich aber noch heute für eines der unerklärbaren Wunder halte...(Vor einigen Jahren hatte ich den Enkel des ehem. Ministerpräsidenten im Rechtsreferendariat bei mir und erzählte ihm die Geschichte, wie das damals alles ohne Personenschutz ablief. Er sagte, so kann er sich auch an die ersten Jahre erinnern, sein Opa sei `anfassbar `gewesen. Erst mit dem Attentat 1972 whd. der Olympiade in München war das schlagartig vorbei.1966 erblickte der Sohn unserer Nachbarin - beinahe- im Mercedes das Licht der Welt. Mein Vater hatte ihr versprochen, dass er sie in die Klinik fahre, wenn es soweit sei. Der Nachbar hatte seinerzeit ein Goggomobil, das zum einen morgens nie ansprang und zum anderen dank der modernen hinten angeschlagenen Türen der Schwangeren zu wenig Platz zum Einsteigen bot. Unterwegs setzten die Wehen ein, alle Insassen waren mit den Nerven am Ende.1967 Ich habe den Führerschein und darf das erste Mal den Wagen fahren. In Rosenheim verlieren wir den Auspuff auf der Autobahn, was uns eine Nacht Aufenthalt kostet, denn das Teil kommt von München, in Zell a. See zerlegts einen Reifen und eine Radmutter geht nicht auf, wir verlieren 3 Stunden und wollten doch bei Tag über den Großglockner zum Millstädter See. An diesem Tag hat sich mein Vater wohl innerlich vom großen Ponton verabschiedet, denn das Werben des MB Vertragshändlers für den neuen /8 fand von Monat zu Monat mehr fruchtbaren Boden. Als ich die damals noch nicht ausgebaute Serpentinenstraße hinauf nach Bad Kleinkirchheim, unserem Ziel, trotz Gegenverkehrs meisterlich hinter mich brachte, bekam ich das allergrößte Lob: Junge, Du bist prima gefahren, Du kannst demnächst den 219 übernehmen.....2 Jahre später war es soweit!Leute , ich sage Euch, so ein Auto hat eine Seele!Jedenfalls von meinem weiß ich es.Seit 10 Jahren ist es durchrestauriert und hat mich seitdem nie im Stich gelassen; ob kurze Strecken, Ausflüge am Wochenende oder gar eine 1500km -Fahrt wie letztes Jahr durch die Schweiz, nie hat er Ausfälle gezeigt.Gestern noch sind wir bei 20° kreuz und quer durch die Landschaft gefahren und haben ihn abends weggestellt.Heute abend hole ich ihn aus der Garage, denn wir wollten ja seinen Geburtstag feiern mit einem feinen Essen und einem Gläschen: Ich starte und die Wasserpumpe quietscht. Auch nach 10km noch, und ich fahre in meine Garage, um ihren Ölstand zu kontrollieren. Aber letztlich sind Motor und Kühler zu heiß, und ich lasse es bleiben in Gottvertrauen. So quietschen wir uns quer durch die Stadt.In weinseligem Glücksgefühl streichle ich ihm nach dem Essen über den Grill und das Lenkrad, halte eine kleine intime Ansprache zu den schönen gemeinsamen Stunden und starte... es ist nicht zu glauben, das Quietschen ist weg, einfach so durchs Stehen. Unfassbar.Die haben eine Seele, glaubt es mir !cafe